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Meinung Korrupte Weltmacht

Putins Russland ist gelähmt, nicht stabil

Wenn Putin spricht, sollte man in Russland besser zuhören Wenn Putin spricht, sollte man in Russland besser zuhören
Wenn Putin spricht, sollte man in Russland besser zuhören
Quelle: REUTERS
Der starke Mann an der Spitze des Riesenreiches scheint für Stabilität gesorgt zu haben. Diese wurde aber erkauft – auf Kosten düsterer Zukunftsaussichten.

Manchmal scheint es, als ob in Deutschland nur eine polarisierte Sicht auf Russland möglich ist. Entweder gilt der große Nachbar im Osten als Reich der Finsternis oder als das gelobte Land deutscher Wirtschaftsträume, mit großherzigen Menschen, wenn auch manchmal rauen Sitten. Was stimmt am Bild des wiedererstarkten russischen Riesen, mit dem sich der schwächelnde Westen gut stellen muss, weil er seine Rohstoffressourcen braucht? Was stimmt an der These, Putins autoritäres Regime sei den Russen gemäß, weil sich das Land nur so regieren lasse?

Tatsächlich hat es Putins Regierung in ihren ersten Jahren vermocht, das in den 90er-Jahren arg gebeutelte Land zu stabilisieren. Seit Mitte des vorigen Jahrzehnts werden Renten wieder regelmäßig bezahlt. Beamte, Lehrer und Soldaten bekommen pünktlich ihren Lohn oder Sold, wobei Putin die dramatisch steigenden Ölpreise zugute kamen.

Die Einkommen stiegen fast doppelt so schnell wie die Wirtschaftskraft. Innenpolitisch ist Ruhe eingekehrt, weil jegliche Opposition ausgeschaltet wurde. Die Macht Putins ist unangefochten. Doch der Preis dafür ist hoch.

Unter dem Deckel der zentralisierten Macht brodelt es weiter. Die so erlangte Ruhe ist zudem nicht die Stabilität staatlicher Institutionen, sondern sie ist an Putins Person gebunden. Das macht sie aber nicht stabil, sondern fragil. Das System Putin ist ineffektiv, weil alles immer ganz oben entschieden werden muss. Auch deutsche Unternehmer in Russland spüren das. Oft ist zu hören, wenn auch unter der Hand, dass das Wichtigste zum Erfolg die Mobiltelefonnummer des jeweils Höchsten ist, in einer Region also die Nummer des Gouverneurs, in Moskau die des zuständigen Ministers.

Deutsche Wirtschaft hat Demokratie nie interessiert

Nicht Regeln funktionieren, sondern Beziehungen. Da muss man es schon fast als strategische Weitsicht ansehen, wenn Eckard Cordes, Vorstandsvorsitzender des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft, Putins Entscheidung, erneut Präsident zu werden, als „erfreuliche Nachricht für die deutsche Wirtschaft“ lobt: Man weiß, was man an ihm hat. Und für Demokratie hat sich die deutsche Wirtschaft nie sonderlich interessiert, wenn es ums Geschäft geht.

Das Spiel mit den schwachen Institutionen und dem starken Mann an der Spitze kann gut gehen, solange die Kasse stimmt. Die gegenwärtige Krise gibt aber einen Ausblick auf ein Ende der fetten Jahre. Ja, die russische Wirtschaft ist zwischen 2001 und 2008 jährlich um durchschnittlich knapp acht Prozent gewachsen. Das hat dem Land einen Platz unter den künftigen Wirtschaftsmächten China, Brasilien und Indien im BRIC getauften Klub der Aufsteiger eingebracht.

Doch gerade die Krise hat gezeigt, wie sehr dieser Erfolg auf Öl und Gas gebaut ist. In keinem G-8-Land, nicht zu reden von den BRIC-Partnern, sank die Wirtschaftsleistung 2009 so stark wie in Russland. Und die Erholung lässt auf sich warten. Selbst Prognosen der Regierung (noch durch den im September entlassenen Finanzminister Alexej Kudrin) und der Zentralbank gehen von einem künftigen Wachstum von nicht über vier Prozent aus. Vier Prozent wären für eine reife Industriegesellschaft wie Deutschland sehr viel. Für ein Land mit einer armen Bevölkerungsmehrheit wie Russland reicht das zum Aufholen nicht aus. Zudem haben die sozialen Wohltaten des vergangenen Jahrzehnts die Berechnungsgrundlage verändert. Während noch 2005 ein Ölpreis von 35 bis 40 US-Dollar für einen ausgeglichenen Staatshaushalt ausreichte, braucht Russland in diesem Jahr schon rund 110 Dollar, 2012 gar 115 bis 120.

Gefälschte Beweise und manipulierte Prozesse

Auch das zeigt, dass sich die Struktur der russischen Staatseinnahmen trotz aller Modernisierungsrhetorik weiter Richtung Rohstoffabhängigkeit verschoben hat. Ein Großteil der in Russland gekauften Verbrauchsgüter stammt aus dem Ausland, Investitionen in Maschinenbau und verarbeitende Industrie sinken. Auch einheimische Investoren trauen der russischen Wirtschaftspolitik wenig. 2010 flohen laut russischer Zentralbank 34 Milliarden US-Dollar aus dem Land, 2011 werden es wohl mehr als 70 Milliarden sein.

Unternehmer zu sein ist ein gefährliches Metier in Putins Russland. Jeder sechste russische Unternehmer wurde in den vergangenen zehn Jahren wegen eines Wirtschaftsdelikts strafrechtlich verfolgt. Rund 100.000 der etwa 800.000 Gefangenen in russischen Straflagern und Gefängnissen wurden mithilfe von Wirtschaftsparagrafen verurteilt. Viele dieser Urteile sind durch gefälschte Beweise und manipulierte Prozesse zustande gekommen. Dahinter stehen häufig Konkurrenten oder Staatsbeamte, oft machen sie gemeinsame Sache. Die von Putin als sein Verdienst herausgestellte politische Ruhe und Stabilität entsteht aus dem Verbot politischer Konkurrenz.

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Das mag kurzfristig klappen. Mittel- und langfristig lähmt die fehlende Konkurrenz das Land und wird zu einem Standortnachteil. Zwar erneuert sich auch die Putin-Elite, aber fast ausschließlich durch Kooptation: Karriere machen Söhne und Töchter, Verwandte und Bekannte der politischen und wirtschaftlichen Machthaber. Das führt zur Bildung von Clans und Seilschaften. Die Bürokratie wächst, während ihre Kompetenz sinkt. 2009 hat sich die Zahl der Beamten in Russland gegenüber den letzten Jahren der UdSSR verdoppelt. Öffentliche Kontrolle sowie Checks and Balances fehlen.

Ein Viertel der Bürger will auswandern

Diese Lähmung zeigt sich auch in einer dritten Emigrationswelle aus dem neuen Russland. Nach 1991 und 1998 verlassen erneut viele Menschen das Land. Diesmal gehen auch Menschen, die es schon zu einigem Wohlstand und Ansehen gebracht haben, aber unter diesen Bedingungen keine Perspektive mehr sehen. Bis zu einem Viertel der Befragten geben in aktuellen Meinungsumfragen an, auswandern zu wollen. Auch wenn die meisten von ihnen bleiben werden – über die Lage im Land sagen diese Zahlen trotzdem etwas aus.

Nun werden wir, ob es uns nun passt oder nicht, mit einem Präsidenten Putin leben müssen. Von ihm und seinen Gefolgsleuten aber die dringend notwendige Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft zu erhoffen, dürfte trügerisch sein. Pragmatische Zusammenarbeit bleibt trotzdem notwendig. Unser Engagement sollte aber vor allem denen gelten, die Russland von unten modernisieren: durch den mühseligen Aufbau einer Bürgergesellschaft, durch den Kampf um das Recht und gegen die bleierne Schwere einer korrupten, raffgierigen Nomenklatura, die sich des Landes und seines Reichtums so schamlos bedient.

Die Autorin ist Bundestagsabgeordnete der Grünen und Sprecherin für Osteuropapolitik ihrer Partei .

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